Für ihren Kampf gegen Trump opfert Liz Cheney ihre Karriere in Washington und den Sitz im Kongress. Sie gilt als eine Art politische Märtyrerin.
Andreas Mink, New York
4 min
Wenn die Kongressabgeordnete in ihren Heimatstaat Wyoming zurückfährt, macht sie das nicht öffentlich. Zu gefährlich für Liz Cheney. Sie hat schon zu viele Todesdrohungen erhalten. Wenn Cheney dort Wahlkampf macht, dann allenfalls diskret bei kleinen Versammlungen in Privathäusern oder Unternehmen. Ihre Partei, die Republikaner in Wyoming, hat sie geächtet.
Und wenn in dem dünn besiedelten Rocky-Mountain-Staat am Dienstag die Vorwahlen für die Kandidaten zum Kongress anstehen, wird Liz Cheney natürlich verlieren. Weit abgeschlagen hinter der republikanischen Kandidatin, die Donald Trump ausgesucht hat, sagen die Umfragen seit Wochen.
In Wyoming, wo fast 70Prozent für Trump stimmten, gilt Cheney als besonders schlimme Verräterin. Als Republikanerin, die gemeinsame Sache mit den Demokraten macht, um Trump zu vernichten. Sie führt den Co-Vorsitz im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Sturms auf das Capitol im Januar 2021. Und sie hat zusammen mit nur neun anderen Republikanern im Kongress für das zweite Impeachment von Trump gestimmt.
Andere aber, die nicht in der Trump-Welt leben, sehen die 56-Jährige auf dem Weg zu einer Art politischem Märtyrertum: Cheney opfert die Karriere in Washington, den Sitz im Kongress, für ihren Kampf gegen Trump. «Wenn der Preis für die Verteidigung der Verfassung ist, den Sitz im Abgeordnetenhaus zu verlieren, dann bin ich bereit, ihn zu zahlen», erklärte sie kühl in einem Interview mit der «New York Times». Eine Politikerin, die Anstand und Moral über alles stellt? In den USA? Bei den Republikanern?
Cheneys Weg ist nicht so einfach zu verstehen. Die älteste Tochter von Dick Cheney, dem mächtigen Vizepräsidenten von George W. Bush, ist in die Fussstapfen ihres Vaters getreten. Hart im Austeilen, stramm konservativ, immer kontrolliert. Cheney trat Ende der achtziger Jahre ins Aussenministerium ein, als ihr Vater Verteidigungsminister von Bush senior war.
Anschliessend studierte sie Jus und heiratete einen Anwalt, der mittlerweile an einer grossen Kanzlei in Washington Rüstungskonzerne betreut, und bekam fünf Kinder. Nachdem der Vater Vizepräsident von Bush junior geworden war, kehrte Liz Cheney 2002 ins Aussenministerium zurück und stieg zur Staatssekretärin für Nahost und Nordafrika auf. Sie soll dabei auch Pläne für einen Regimewechsel in Syrien und Iran betrieben haben.
Der Wahlsieg von Barack Obama brachte einen Wechsel zu Fox News als Kommentatorin. Dort diffamierte Cheney den Demokraten als Schwächling, Sozialisten und verkappten Muslim, der Amerika in den Abgrund stürzen wolle. Als Obama 2013 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte, ging Cheney dagegen an und nahm sogar den Bruch mit ihrer offen lesbischen Schwester Mary in Kauf.
So hart rechts auf dem damaligen «Tea Party»-Flügel der Partei positioniert, scheiterte Cheney zwar 2014 bei einer Bewerbung als Kandidatin für den Senatssitz von Wyoming, konnte aber zwei Jahre später das Abgeordnetenmandat erringen. Von da an hat sie Trumps Agenda von Steuersenkungen für Reiche bis zur Förderung fossiler Energieträger rückhaltlos unterstützt. Cheneys Wende gegen Trump kommt also reichlich spät.
Aber der versuchte Staatsstreich am 6. Januar 2021 hat manche Republikaner wachgerüttelt, die sich ein Leben mit Trump schöngeredet hatten. Cheney bricht mit dem abgewählten Präsidenten. Seine Lüge vom gestohlenen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen ist für sie nicht akzeptabel – anders als für die grosse Mehrheit ihrer Parteifreunde. «Amerika kann nicht frei bleiben, wenn wir die Wahrheit aufgeben», sagt Cheney in einem Wahlspot in Wyoming. «Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, diese Art von vergifteten Lügen zerstört freie Nationen.»
Cheney weiss, der grösste Teil der Wähler in ihrem Staat will diese Warnungen nicht hören. Sie nennt ihre Partei «sehr krank». Mit ihrer Hörigkeit gegenüber Trump trieben sich die Republikaner in einen Graben. Es werde mehrere Wahlzyklen dauern, bis die Partei von diesem Krebsgeschwür geheilt werden könne: Trumps Lügen, Manipulationen, seine Angriffe auf die demokratischen Institutionen Amerikas. Cheneys alter Vater rückte noch einmal aus, um seiner Tochter mit einem Wahlvideo zu helfen.
«In der 246-jährigen Geschichte unserer Nation gab es nie eine einzelne Person, die eine grössere Bedrohung für unsere Republik war als Donald Trump», erklärte Dick Cheney mit festem Blick und Cowboyhut auf dem Kopf. Das ist nicht ohne Ironie, galt Dick Cheney, der Architekt des Irakkrieges, doch als Inbegriff des finsteren Machtpolitikers.
Seine Tochter sieht ein, dass sie mit ihrer Polemik gegen die Demokraten in früheren Jahren zum vergifteten Klima der Politik heute beigetragen hat. Von «reflexartiger Parteilichkeit» spricht sie bedauernd und zeichnet an anderer Stelle ihre Vision von einer breiten Allianz von Republikanern, Demokraten und Unabhängigen, die sie nun für die Schlacht um die amerikanische Demokratie mobilisieren will. Das tönt nach einer Präsidentschaftskandidatur. Cheney lässt die Gerüchte treiben, obwohl ein solches Vorhaben für die nächste Wahl 2024 völlig unrealistisch erscheint.
Viereinhalb Monate bleiben Cheney noch als Abgeordnete, zu Beginn des nächsten Jahres wird sich der neue Kongress konstituieren. Cheney will die verbleibende Zeit ganz für den Untersuchungsausschuss zum 6. Januar verwenden. Ihre Arbeit dort sei das Wichtigste, was sie in ihrem Leben getan habe, erklärte die Politikerin.
Cheney will nachweisen, dass Trump einen Umsturz geplant hat. Sie war es, die mit Cassidy Hutchinson, der jungen Mitarbeiterin im Weissen Haus von Trump, eine der wichtigsten Zeuginnen gegen den früheren Präsidenten vor den Untersuchungsausschuss gebracht hat. Cheney will Trump zerstören und ihr Land retten. So schlicht ist das.
NZZ am Sonntag, International
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